HERZsache

Einmal wenden bitte!

Knapp an der Diagnose SGA-Baby (Small for Gestational Age) vorbeigeschlittert heißt es nun, dass das Kind zwar klein ist, aber fleißig zunimmt. Ich hatte mir von Anfang an immer wieder bei mir selbst gedacht, dass ich ja kein Riesenbaby bekommen kann – wie soll das denn bitte funktionieren mit der Geburt? Draußen kann es meinetwegen wachsen, soviel es will. Aber die Natur richtet doch solche Dinge größenverhältnismäßig meistens genau so ein, dass es passt. Deswegen hatte mich selbst die Größe nie groß verwundert. Aber wenn alle besorgt im Kreis rennen, wird man doch ganz schön verunsichert! Wie schön, dass jetzt alle wieder einigermaßen beruhigt sind.

Ein ganz anderes Problem blieb die Beckenendlage. Mein Baby saß mit seinem Pops in meinem Becken und machte keine Anstalten, daran irgendwas zu ändern. Die Füße nach oben gestreckt stellte ich mir die Position immer sehr unbequem vor, aber so schien es sitzen bleiben zu wollen. Unsicher ging ich also zur Intensiv-Schwangeren-Beratung, wo alle Voraussetzungen für eine Äußere Wendung abgecheckt wurden. Doch bis das geklärt wurde, fiel natürlich erstmal wieder die Tendenz zum SGA-Baby auf, was reichlich diskutiert wurde. Eine Steißgeburt: undenkbar!
Aha, am Ende doch das Fazit: „Naja, Sie sind ja selbst nicht groß, das passt schon so. Versorgt wird es auf jeden Fall gut.“
Sag ich ja.

Immerhin, für die Wendung war es gut, dass es nicht zu groß ist. Eine Woche später wurde ich also bestellt.

Etwas nervös erscheine ich 8 Uhr im Kreißsaal, wo ich die nächsten zehn Stunden verbringen werde. Mit einem zweistündigen CTG wird mir der Anschein vermittelt, dass ich mich bereits mitten in der Behandlung befinde. Schließlich gesteht mir eine Hebamme, dass der Oberarzt nach dem geplanten Kaiserschnitt am Morgen noch eine Not-OP durchführen muss und es noch ein ganzes Stückchen dauern könnte. Eine Mutter (8. Schwangerschaft) war mit Zwillingen in der 19. SSW gekommen, da der Muttermund bereits geöffnet und jeweils ein Füßchen beider Babys herauskommen wollte. Kurzerhand musste der Arzt die Füße zurückschieben und den Muttermund zunähen.
Na dafür warte ich definitiv gern noch zwei Stunden länger…!

Irgendwann hat eine Hebamme Erbarmen mit mir und bringt mir einen Becher Wasser. Wegen der Vorbereitung auf einen Notkaiserschnitt unter Vorbehalt musste ich nüchtern erscheinen – das Wasser ersehne ich dementsprechend sehr.

Drei Stunden später klärt mich eine Assistenzärztin darüber auf, was im Falle eines Notkaiserschnitts passieren könnte und legt mir eine Flexüle. Wieder eine halbe Stunde später werde ich an den Wehenblocker-Tropf geschlossen. Sobald mein Blut davon gespeist wird, setzt unglaubliches Herzrasen ein und ich werde unruhig. Die Anästhesie-Ärztin kommt und belehrt mich; jedoch kann ich ihr kaum folgen, weil ich so mit meinem Herzschlag und dem Zittern beschäftigt bin. Erleichtert stelle ich fest, dass die ewige Warterei insofern seinen Sinn hatte, dass mein Mann nun doch dabei sein kann: Er schafft es, nach Arbeitsende dazuzukommen. Tatsächlich betritt er den Raum und fünf Minuten später ist der Oberarzt zur Wendung da.

Ab da geht alles ganz schnell. Ohne große Vorrede beginnt der Arzt mit der Behandlung und schiebt seine Hände in meinem Bauch. So tief, dass mir der Atem wegbleibt. Ich hatte gehört, dass es etwas schmerzt, aber das überrascht mich jetzt doch.

Die Hebammen helfen mir, richtig zu atmen, während der Arzt mit einer Hand den Babypo aus meinem Becken heraushebt. Dann wartet er kurz, in welche Richtung das Baby seinen Purzelbaum vollführen möchte. Aber da tut sich nichts und so schiebt er es an Kopf und Rücken nach eigener Entscheidung nach vorn. Auf dem Ultraschallgerät sehe ich, wie es bereits in der Querlage liegt. Und atmen. Eine Hebamme reicht mir ihre Hand, damit ich zudrücken kann. Weiter geht’s. Das Baby winkelt ein Beinchen an, das andere lässt es ausgestreckt vor seinem Gesicht. Also muss die Drehung in dieser Haltung vollführt werden. Der Arzt drückt, ich versuche zu atmen. Und dann wird er plötzlich hektisch. Auf dem Ultraschallgerät sehe ich, wie er nach dem Herzlein sucht. Es pumpt einmal, nach einer Weile ein zweites Mal, doch nur ganz schwach.

Was passiert hier?

Der Arzt stellt auf CTG um, der Bildschirm dafür ist mir weggedreht. Ich schaue in die verschiedenen Gesichter über mir und frage, ob alles okay ist. Dabei weiß ich doch genau, was hier gerade passiert. Ich schaue zu meinem Mann, der auf dem Bett hinter dem Arzt sitzt, aber ich verstehe seinen Gesichtsausdruck nicht. Endlich erklärt der Arzt, dass das langgestreckte Füßchen die Nabelschnur abklemmt. Er muss den Kopf nochmal nach oben schieben, damit sie rausspringen kann. Er drückt, ich atme den Schmerz weg, die Nabelschnur ist frei. Alle starren auf die Herztöne, die ich nicht sehen kann. Tief atmen soll ich, damit beim Baby viel ankommt.

Ich atme, für mein Baby.

Ich schaue auf meinen Bauch und bete in Sprachen, weil ich keine Worte finden kann. Jetzt hat Gott die komplette Kontrolle. Er entscheidet. Dann endlich beruhigen sich alle. Der Arzt sagt erleichtert, dass die Werte besser werden. Bald sind sie wieder zwischen 110 und 120 Hz. Der Arzt geht kurz raus. In der Zeit dreht mein Mann den Bildschirm zu mir und drückt mich.  Mir kommen die Tränen, ich bin überfordert von der Situation, von dem eben Erlebten. Wenn das jetzt schief gegangen wäre, dann basierend auf meinem ausdrücklichen Wunsch der Äußeren Wendung. Das hätte ich mir nie verzeihen können.

Und dann merke ich, dass ich mit einem Mal unendlich glücklich bin. So richtig zum Hüpfen glücklich, über alle Maßen! Dem Baby geht’s wieder gut, die Wendung hat funktioniert! Es ist geschafft! Es hat sich gelohnt!

Der Arzt kommt noch einmal herein, beobachtet eine Weile die Werte und meint abschließend, dass es so gut sei. Dennoch solle ich über Nacht zur Überwachung stationär dableiben. Ich danke ihm und er geht – zur nächsten Op.

Beim Aufstehen merke ich, dass sich alles anders anfühlt. Mein Bauch sieht anders aus, er trägt sich anders und scheint unglaublich fragil. Das soll die nächsten Stunden auch so bleiben. In der Nacht wache ich bei jeder Bewegung des Babys auf – besorgt, ob es ihm gut geht, ob es sich jetzt doch wieder herumdreht oder ob ich ihm seine Lieblingsseite entrissen habe. Am darauffolgenden Morgen tritt es einige Male beherzt in meine rechte Seite, so stark, dass ich zusammenzucke. Ab da bin ich beruhigter – zurück ist seine Kraft und sein starker Wille.
Und irgendwie fühlt es sich wie ein Friedensangebot an.

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