20.15 Uhr
Die Blase springt. Ich bin allein zuhause und weiß erst einmal gar nicht, was geschieht. Irgendwie komme ich nicht auf die Idee, die ultradicken Binden zu nehmen, also renne ich bei jeder Bewegung des Kindes wieder zum Klo, da ein neuer Schwall Fruchtwasser kommt.
Mein Mann kommt glücklicherweise wenige Minuten später nach Hause. Während er anfängt, vom Hausbau zu reden, warte ich auf eine Pause, um ihm zu berichten, was gerade passiert ist. Ich halte es aber nicht lange aus und unterbreche ihn recht bald: „Ich glaube, meine Fruchtblase ist geplatzt. Die Geburt geht los.“
Aufgeregt zitternd rufe ich meine Hebamme an. Sie sagt mir, was ich tun soll: So gut es geht noch ausruhen, versuchen, ein bisschen zu schlafen und später wieder anrufen, wenn schmerzhafte Wehen eingetreten und regelmäßig in kurzen Abständen kommen. Okay.
Wir setzen uns an den gedeckten Tisch. Jedoch bekomme ich keinen Happen runter und renne stattdessen mit Durchfall aufs Klo, nicht zu vergessen das immer noch fließende Fruchtwasser. Ich dusche in Ruhe, da ich sicherlich in den nächsten Tagen nicht dazu kommen werde. Mit meinem Mann rede ich darüber, was nun alles zu tun ist. Mit einem Blick auf die Uhr freuen wir uns, dass das Kind am Frühlingsanfang und dem schönen Datum 20.03.2020 geboren werden wird. „Zum Frühstück ist bestimmt alles geschafft.“, lächle ich meinen Mann verträumt an. Wenn ich wüsste…
21.15 Uhr
Plötzlich schmerzt es jedes Mal, wenn der Bauch hart wird. Damit hatte ich ja gerechnet und so stoppe ich per App den Abstand. Irgendwie ist der aber viel zu kurz, das kann ja nicht sein. Ich messe weiter und bin mir sicher, dass sich die Abstände bald vergrößern werden, ich erwarte so 12 Minuten statt der jetzigen drei bis fünf.
22.15 Uhr
Irgendwie werden die Abstände nicht normal und ich frage mich, was da nicht stimmt. Die Wehen schmerzen inzwischen so stark, dass ich mich frage, wie ich das mit der Dynamik zwölf Stunden aushalten soll. Verzweifelt sage ich immer wieder zu meinem Mann, dass das nicht so sein kann, dass die Abstände am Anfang viel größer sein müssen, dass ich längere Pausen brauche.
22.30 Uhr
Ich nehme einen Druck nach unten wahr. Na jetzt wird´s ganz verrückt! Langsam beginnt es mir zu dämmern, dass die Geburt vielleicht tatsächlich schon in vollstem Gange ist. Ich bitte meinen Mann, dringend die Hebamme anzurufen und ihr zu sagen, dass es jetzt schon losgeht. Sie braucht eine dreiviertel Stunde und ich freue mich sehr darauf, sie bei mir zu haben.
Der Druck wird inzwischen immer größer. Ich habe davon gehört, dass man nicht zu schnell pressen darf, also versuche ich, dem Drang danach nicht nachzugeben. Mein Mann räumt inzwischen einige Dinge zurecht, die wir für die Geburt gekauft hatten. Allerdings kommt er damit nicht sehr weit, weil ich ständig eine neue Wehe habe und seine Hand zum Drücken wünsche. Immer wieder frage ich ihn, wie spät die Hebamme da sein müsste und geduldig zählt er mir die Minuten runter, die sie noch braucht. Ich ersehne sie jetzt richtig sehr. Sie wird mir sagen können, was hier vor sich geht und was ich tun soll. Irgendwann kann ich dem Druck nicht mehr standhalten und beginne zu pressen. Noch immer glaube ich, dass es lange dauern wird – es ist ja eine Erstgeburt und die dauern immer lange.
Plötzlich spüre ich, dass da etwas kommt. Ich taste zwischen meinen Beinen und fühle den Kopf des Kindes. Nun kann ich die Realität nicht länger verdrängen: Da hat es jemand ganz eilig! Ich versuche, den Kopf langsam bei der nächsten Wehe herauszupressen und stütze ihn mit einer Hand. In der darauffolgenden Pause sage ich zu meinem Mann: „Ich weiß, wir hatten ausgemacht, dass du nur bei mir am Kopf bleibst, damit du nichts sehen musst. Aber der Kopf ist jetzt draußen und du musst das Baby auffangen.“ Viel Zeit zum Überlegen bleibt ihm nicht, denn die nächste Wehe kommt und das Kind wird direkt in seine Arme geboren.
23.23 Uhr
Ich sacke auf den Boden und mein Mann legt mir unser Neugeborenes in die Arme. Staunend halte ich es und schaue es ganz überwältigt an. Es muss einen Laut von sich geben, das weiß ich, und das tut es auch: Es quäkt ganz niedlich. Plötzlich werden die Hände und Füße ganz blau und ich bekomme Angst. Bis jetzt ging alles ganz automatisch und ich musste nicht nachdenken. Aber was geschieht jetzt? Was muss ich tun, was braucht das Baby jetzt? Wie lang darf es an der Nabelschnur bleiben? Eher nebenbei registriere ich, dass ich einen kleinen Sohn geboren habe. Zeitweise war ich darauf so neugierig, nun nehme ich es einfach so wahr, so überwältigend sind all die Eindrücke.
Ich habe es gar nicht klingeln gehört, aber plötzlich hockt meine Hebamme neben mir und mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen. Sie übernimmt die Versorgung von uns beiden.
Da die Geburt superschnell ging, zieht meine erschöpfte Gebärmutter sich nicht richtig zusammen und ich verliere viel Blut. Doch mit Hilfe einer Wehen fördernden Spritze regelt das die Hebamme. Später in der Dusche werde ich noch ohnmächtig, aber das ist alles nicht der Rede wert, wenn man das kleine Geschöpf staunend in den Händen halten kann! Etwas unwirklich kommt es mir noch vor, nach nur wenigen Stunden ist er nun da: unser geliebter Sohn!
Und es ist eben nicht der Frühlingsanfang – dafür war der Kleine einfach viel zu schnell. Er ist gerade so noch ein Winterkind. Und zum Frühstück hatten wir dann schon wieder ein paar Stunden geschlafen gehabt – mit unserem Baby in unserer Mitte.