Ich möchte heute etwas sehr Persönliches mit euch teilen – etwas recht Typisches, aber Unbekanntes.
Am Tag, als unser Sohn starb, hatte ich Durchfall, extreme Kreislaufprobleme und ab sofort große Probleme mit dem Essen. Während ich die Wochen zuvor selbst das eintönigste Krankenhausessen heruntergeschlungen hatte, weil ich die Energie spürbar brauchte, bekam ich anschließend mit viel Mühe nur wenige Bissen herunter.
In den folgenden Monaten und Jahren blieb das so. Vor allem morgens kämpfte ich teilweise stundenlang damit, ein wenig zu essen. Ich hatte spätestens nach wenigen Bissen einen großen Würgereiz und bekam wirklich nichts herunter. Oft hatte ich vom Brötchen abgebissen und während des Kauens ging plötzlich gar nichts mehr.
Ab und zu hatte ich dann, meist abends, genug Hunger, um richtig Appetit zu entwickeln. Dann holte ich mir genug Energie für die nächsten Tage.
Selbst beim Zähneputzen hatte ich mit dem Würgereiz zu tun – das ist teilweise noch heute so.
Selbstredend nahm ich in dieser Zeit schnell viel ab, sodass ich mir, mein Mann, Familie und Freunde sich Sorgen machten. Der Druck, zuzunehmen – oder wenigstens das Gewicht zu halten – verschlimmerte jedoch alles. Ich sehe mich noch am Frühstückstisch sitzen, das geschmierte Brötchen vor mir und verzweifelt kämpfen…
Den Grund konnte ich mir schnell selbst herleiten – jedoch war es befreiend, diese Appetitlosigkeit als Symptom der Trauer in einem Buch zu lesen.
Es ist ganz einfach: Ich hatte keine Lebensfreude mehr und sah keinen Sinn im Leben. Wieso also sollte ich essen?
Mein Körper sah das anders und holte sich von Zeit zu Zeit eine deftige Mahlzeit.
Ich versuchte flüssige Nahrung zu mir zu nehmen. Aber das funktionierte überhaupt nicht – Kalorien sind Kalorien, da ließ sich mein Kopf nicht überlisten. Ich weiß nicht, ob ich mir hätte leisten dürfen, gnädiger mit mir zu sein. Wahrscheinlich nicht. Aber psychisch hätte es mir sicherlich gut getan, den Druck herauszunehmen.
Die Lösung ist leider nichts weiter als abzuwarten. Gott heilte mein Herz, tut es noch. Und langsam kehrte die Lebensfreude und damit der Appetit zurück.
An meinem Tiefpunkt, bei 43kg, nahm ich drei Wintermonate lang Antidepressiva, welches als Nebenwirkung appetitanregend war. Das half auch.
Ich bin nicht am Ziel.
Ich habe erreicht, mein Gewicht weitestgehend halten zu können. Je nach Belastung verliere ich wieder ein paar Kilo, aber nicht mehr so rapide wie in dieser Zeit. Wieder zuzunehmen ist mein nächstes Ziel, welches jedoch nicht mehr so viel von der Trauer begrenzt wird, sondern vielmehr eine Ernährungsumstellung beinhaltet.
Ich schreibe dies, weil es mir wichtig ist, zu betonen, dass Trauer vielfältig und vielschichtig ist. Dass sie Zeit braucht. Dass sie jeden Bereich des Lebens beeinflusst. Jeden.
Es ist mir wichtig, Appetitlosigkeit als Symptom der Trauer zu benennen.
Sie kommt und bleibt eine Weile, sie wird weniger, holt einen wieder ein, geht vielleicht nie ganz weg.
Besorgte Nachfragen setzten mich unter Druck, verletzten mich zum Teil und zuweilen wurde mir schlicht zu nahe getreten. Daher fühlte ich mich bei dem Thema Essen meist unverstanden und kritisiert. Dennoch bin ich im Nachhinein dankbar dafür, dass auf mich und nach mir geschaut wurde. Damals konnte ich noch nicht so offen darüber reden. Gewicht ist bei Frauen eben leider so ein Thema – auch bei zu wenig Kilos.
Ich bin schon immer ein Gesellschaftsesser. Ich liebe es, mich während des Essens in guter Gesellschaft zu befinden, mich zu unterhalten, ein gemütliches Ambiente zu genießen.
Zwar esse ich nicht mehr so gern wie früher, es ist doch immer noch oft eher eine Notwendigkeit für mich, Nahrung zu mir zu nehmen.
Aber in Gemeinschaft fällt es mir leichter. Und es wird besser.