HERZsache

die Sache mit dem Reh

Wenn es zu schneien beginnt, freue ich mich jedes Mal wie ein kleines Kind. Es zieht mich regelrecht nach draußen und dann stehe ich glücklich da und verliere mich in dem faszinierenden Meer aus Schneeflöckchen. Diese Ruhe, die Schnee ausstrahlt, nimmt mich dann komplett ein und durchströmt meinen Körper und meine Seele. Staunend erkenne ich, wie atemberaubend Gottes Schöpfung ist, und wie vielfältig! Jeder Eiskristall am Glas ist so unbeschreiblich wunderschön!
Obwohl ich sonst eine Frosthocke bin, liebe ich es in dieser Zeit, wenn mein Gesicht vor Kälte schmerzt, wenn der Wind eiskalt über die Felder zieht und den Schnee verweht. Wie bezaubernd sieht der Nebel im Winter aus, vor allem im aufgehenden Sonnenrot!

Bei einem unserer Winterwaldspaziergänge stapften wir gerade auf ein unberührtes Schneefeld zu, als ich beim Zurückblicken ein Reh flitzen sah. Aber irgendetwas war komisch und beim genaueren Hinsehen fiel mir auf, dass es nicht vorm Zaun, sondern hinter dem Zaun rannte – also im Garten!

Sofort rannten wir ihm entgegen und waren schon eifrig dabei, das arme Tierchen zu befreien. Denn es war ja offensichtlich, dass es sich da verirrt hatte. Sein herzerwärmendes Rufen Richtung Wald weckte unseren Retterinstinkt vollauf und wir rannten bald rechts und links auf der Suche nach einer Lücke im Zaun. Hin und wieder entdeckten wir Spuren von Rehen im Schnee, was ja weitere Beweise waren, dass es vom Wald her gekommen war.

Während ich so am Zaun entlanglief und ein verschlossenes Tor überprüfte, kam das Reh zu mir herangetreten. Irritiert beobachtete ich, wie es seine Schnauze zu meiner Hand reckte und im weiteren Verlauf mit mir lief und auf meine Stimme reagierte. So konnte ich es schließlich auch in ein anderes Gartengrundstück locken, wo es leicht über den Zaun springen konnte. Ich packte das Handy aus, denn diesen Sprung wollte ich unbedingt filmen!

Ich trat zurück und wartete, doch unser Freund tat nichts dergleichen.

Nach einer telefonischen Beratung meines Vaters schien die Sache nun ganz anders zu sein, als wir es vermutet hatten: so zutraulich war das wohl kein wildes Reh. Vielleicht hat es ein Jäger aufgezogen oder jemand hält es illegaler Weise in seinem Garten.

Die Sache brachte mich ins Grübeln.

Wie oft ist es wohl so, dass wir mit einer Ansicht absolut danebenliegen? Wir nehmen an, dass wir den Durchblick haben und die Dinge intuitiv richtig einordnen. Aber was ist, wenn wir uns viel öfter irren, als wir zu glauben wagen?

Irgendwie beruhigt mich dieser Gedanke. Nicht, dass ich gern falsch liege oder die wahren Hintergründe einer Sache nicht gern erfahren würde.
Aber nur so können doch Widersprüche nebeneinander stehen gelassen werden, solche wie zum Beispiel:
Gott ist gut – unser Sohn stirbt, oder:
Gott will und kann heilen – unser Sohn wird nicht geheilt.
Gott ist nicht schwarz-weiß und wir ordnen wahrscheinliches vieles komplett falsch ein. Wir kombinieren Dinge miteinander, die sich widersprechen – weil sie vielleicht auch wirklich nicht nebeneinander stehen.

Manchmal schützt uns dieses Unwissen auch. Gottes Allwissen zu haben würde unseren kleinen Verstand schier sprengen, wir könnten das gar nicht fassen und verstehen.

Und manchmal ist es wie in der Begegnung mit unserem kleinen Bambi – da macht es einfach Spaß, der Sache auf den Grund zu gehen. Und auch wenn wir dann immer noch nicht wissen, wie es sich nun verhält, ist es ein Abenteuer.

Morgen werde ich noch einmal losziehen und nachsehen, ob das Reh inzwischen in den Wald verschwunden ist oder noch immer zufrieden im Garten Efeu mampft.

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